Debattenkultur am Beispiel der Klimadebatte und der Kritik an der UN-Rede von Greta Thunberg. Schwerpunkt: Wie erkennt man Fallazien?
Eine gute Debatte dient der Vorbereitung einer schwierigen Abstimmung oder Entscheidung. Die Optimierung der Debattenkultur in Unternehmen gehört daher nicht selten zu den notwendigen Maßnahmen, um komplexe Probleme nachhaltig lösen zu können.
Die Aneignung von Grundkenntnissen, wie man selbst überzeugend argumentiert und wie man mit (induktiven) Argumenten anderer umgeht, gehört daher zwingend zu einer Debattenkultur. Dazu erscheint es mir situativ notwendig, die betroffenen Mitarbeiter in die Thematik einzuführen. In Workshops arbeite ich dann mit praktischen Beispielen aus dem betrieblichen Alltag.
In diesem Beitrag möchte ich das Thema jedoch anhand der aktuellen Diskussionen zum Klimawandel rund um die Person Greta Thunbergs veranschaulichen. Der Klimawandel ist ein Thema, das mich und wahrscheinlich unzählige andere Menschen derzeit sehr bewegt. Ich hoffe, damit zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen:
- Sie erhalten eine kurze Einführung in die, wie ich finde, sehr spannende Thematik der Argumente und Fallazien.
- Und vielleicht gelingt es mir damit, ein wenig Ordnung in die Kakophonie des Klimawandels zu bringen, die eine Debattenkultur völlig vermissen lässt.
Greta Thunberg
Die Jugendliche Greta Thunberg (Jahrgang 2003) ist eine schwedische Klimaschutzaktivistin. Einer breiteren Öffentlichkeit wurde sie zunächst durch die von ihr initiierten „Schulstreiks für das Klima“ bekannt.
Zuletzt fiel sie durch ihre Rede am 18.09.2019 vor einem Ausschuss des US-Kongresses in Washington und wenige Tage später am 23.09. durch ihre „Wutrede“ beim UN-Klimagipfel in New York auf.
Sie sieht sich quasi „nur“ als Überbringerin der Botschaft. Dabei konkretisiert sie selbst, was die Botschaft ist:
- Die Arbeiten des „Intergovernmental Panel on Climate Change“ (IPCC) im Allgemeinen,
- und dessen Sonderbericht „Special Report on Global Warming of 1.5° C“ (SR15) im Besonderen.
„Zwischenstaatlicher Ausschuss für Klimaänderungen“ (IPCC)
Der IPCC wurde 1988 vom Umweltprogramm der Vereinten Nationen und der Weltorganisation für Meteorologie als zwischenstaatliche Institution gegründet.
Er fasst den Stand der wissenschaftlichen Forschung zum Klimawandel für politische Entscheidungsträger zusammen. Dazu versammelt der IPCC Tausende von Wissenschaftlern aus aller Welt. Die Sachstandsberichte werden in unregelmäßigen Abständen veröffentlicht. Der letzte, fünfte Sachstandsbericht wurde 2014/15 veröffentlicht. Der sechste Sachstandsbericht wird für 2021/22 erwartet.
Die wichtigsten Ergebnisse des fünften Berichts können Sie hier zusammengefasst selbst nachlesen. Was ich für mich persönlich daraus mitgenommen habe:
- Es ist sehr wahrscheinlich, dass der menschliche Einfluss die Hauptursache für die Erwärmung seit Mitte des letzten Jahrhunderts ist.
- Wenn die globale Erwärmung – verglichen mit dem vorindustriellen Niveau – um 2° C steigt, haben wir es mit extremen Auswirkungen zu tun.
- Ohne zusätzliche Anstrengungen wird die globale Durchschnittstemperatur bis zum Jahr 2100 sogar um 3,7 bis 4,8 °C ansteigen. Dann kann die Menschheit weitgehend einpacken.
Der IPCC gibt auch Sonderberichte heraus. Zuletzt im Jahr 2018 den Sonderbericht „SR15“.
„IPCC-Sonderbericht über 1,5° C globale Erwärmung“ (SR15)
SR15 beschreibt Möglichkeiten, wie eine Begrenzung des Anstiegs der globalen Mitteltemperatur auf maximal 1,5° C erreicht werden kann. Hier können Sie auch selbst nachlesen, was die wichtigsten Erkenntnisse daraus sind. Was ich für mich persönlich daraus mitgenommen habe:
- Menschliche Aktivitäten verursachen derzeit eine geschätzte globale Erwärmung von etwa 0,8 bis 1,2° C. Die globale Erwärmung wird wahrscheinlich zwischen 2030 und 2052 die kritische Grenze von 1,5° C erreichen.
- Wenn es uns gelingt, den Anstieg auf maximal 1,5° C zu begrenzen – was sehr ehrgeizig und anspruchsvoll, aber machbar wäre –, dann vermeiden wir zumindest die ganz extremen Auswirkungen, die wir bei 2° C oder mehr zu erwarten hätten.
Die Schlussfolgerungen des IPCC/ SR15 sind die Prämissen, auf denen wiederum Greta Thunberg ihre eigenen Schlussfolgerungen aufbaut. Diese möchte ich mit meinen Worten plakativ wie folgt zusammenfassen:
Ihr Erwachsenen in Schlüsselpositionen mit Entscheidungsbefugnis ignoriert die Aussagen des IPCC bzw. des SR15. Diese zeigen deutlich, dass eure bisherigen Maßnahmen unzureichend sind.
Schlimmer noch: Ihr verfolgt weiterhin das Ziel des ewigen Wachstums und nehmt billigend in Kauf, dass die Zukunft des Lebens auf diesem Planeten verspielt wird. Wenn das so ist, dann seid ihr alle so weit „durch“, aber wir, die Jugend, sind noch da und müssen es ausbaden.
Debattenkultur: Kritisch denken und überzeugend argumentieren
Ausgestattet mit diesen Kontextinformationen steigen wir nun in die Debattenkultur ein: kritisch denken und überzeugend argumentieren. Dabei wird zwischen deduktivem und induktivem Argumentieren unterschieden.
Deduktive Argumente lasse ich hier außer Acht. Sie kommen in den formalen Wissenschaften wie Mathematik oder Logik vor. Ausgangspunkt der Deduktion ist mindestens ein fundamentales Prinzip, von dem man zweifelsfrei weiß, dass es wahr ist. Man möchte daraus eine zweifelsfrei wahre Aussage für einen gegebenen Fall ableiten.
Induktive Argumentationen finden sich z. B. in den Naturwissenschaften. Die Ausgangssituation ist z. B. eine Fallbetrachtung aufgrund einer Beobachtung oder Untersuchung. Ausgehend von dieser Beobachtung ist man auf der Suche nach der zugrunde liegenden Wahrheit. Man möchte aus der Beobachtung ein allgemeingültiges Gesetz ableiten.
Bei einer induktiven Argumentation wird die Schlussfolgerung nie bewiesen, sondern nur gestützt. Der Wahrheitsgrad der Prämissen macht die Schlussfolgerung mehr oder weniger wahrscheinlich, aber niemals wahr! Eine unwahrscheinliche Schlussfolgerung kann sich dennoch später als wahr erweisen! Und umgekehrt!
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Debattenkultur zum Thema “Klima”: Was tun, wenn ein Thema unglaublich komplex ist?
In diesem Bericht sind außerordentlich viele Prämissen enthalten, deren Analyse ein fundiertes wissenschaftliches Verständnis voraussetzt. Ich persönlich verfüge nicht über dieses Wissen. Genauso wenig wie die Politiker, an die sich der Bericht richtet.
Der vorliegende Bericht geht daher bewusst von dieser Prämisse aus: Vertraut der geballten Kompetenz der vielen Wissenschaftler. Und vertraut bitte auf die Kontrollmechanismen, die eingerichtet wurden, um Fehlschlüsse ebenso wie Manipulationsversuche Einzelner bestmöglich auszuschließen.
Intermezzo:
Ich habe diesen Beitrag mit dem Thema „Debattenkultur in Unternehmen“ begonnen. Deshalb an dieser Stelle der Hinweis: Die Zusammenhänge in Unternehmen sind sicher nicht so komplex-kausal wie hier beim Thema Klima, aber sie sind wahrlich nicht zu vernachlässigen.
Bei Interesse siehe: „Komplexität: Ihr Unternehmen wird immer komplexer. Was jetzt?“
Fehlschlüsse bei der Analyse des Arguments
Es gibt Kritiker, die unter Bezugnahme auf den Bericht folgende Gegenargumente vorbringen. Ich gebe dazu eine Begründung, warum ich sie nicht für überzeugend halte – ohne Anspruch auf Wahrheit und Allgemeingültigkeit.
- Gegenargument: Es ist nicht bewiesen, dass der menschliche Einfluss die (Haupt-)Ursache der Erwärmung ist.
Wir haben es hier zweifellos mit einer induktiven Argumentation zu tun. Ich wiederhole daher: Im Gegensatz zu deduktiven Argumenten wird bei einem induktiven Argument die Schlussfolgerung nie bewiesen, sondern nur gestützt.
Eine Zwischenschlussfolgerung des Berichtes lautet daher: „Es ist äußerst wahrscheinlich, dass der menschliche Einfluss die Hauptursache der Erwärmung ist.“
Es wird untersucht, wie stark die Prämissen die Schlussfolgerung stützen. Wenn ein Argument stark ist und die Prämissen (wahrscheinlich) wahr sind, wird das Argument als überzeugend angesehen. Die Stärke bzw. Überzeugungskraft bleibt so lange konstant, bis neue Fakten die Richtigkeit der bisherigen Prämissen in Frage stellen oder andere unterstützende Prämissen oder Einwände berücksichtigt werden müssen.
- Gegenargument: Klimaexperte XY ist anderer Meinung.
Um dieses Gegenargument zu berücksichtigen, müsste ich in der Lage sein zu beurteilen, warum die Meinung, der Ansatz oder das Modell der Kritiker valider ist als die der vielen Wissenschaftler, die an der obigen Studie beteiligt waren. Das kann ich nicht. Ein Argument wird nicht dadurch wahrer, dass es für mich bekömmlicher klingt!
- Gegenargument: Mit den Maßnahmen, die wir ergreifen, machen wir sicher die Wirtschaft kaputt, ohne dass wir sicher sein können, dass diese Maßnahmen überhaupt etwas bewirken.
Wie ich das Gegenargument einschätze, möchte ich an diesem Beispiel verdeutlichen:
Ein überdurchschnittlich gut verdienendes Karrierepaar lebt weit über seine Verhältnisse und gibt weit mehr aus, als es einnimmt. Finanzielle Reserven sind nicht vorhanden und das riesige Anwesen wurde auf Kredit gekauft. Sie fahren “auf Sicht” und rechnen damit, dass sie ihre Karriere fortsetzen und von Jahr zu Jahr mehr verdienen.
Sie hören das wohlbegründete Gerücht, dass im nächsten Jahr nicht nur bei ihrem Arbeitgeber, sondern in ihrer gesamten Branche Massenentlassungen anstehen, so dass die Entlassenen sich wahrscheinlich umschulen lassen müssen. Freunde raten, die Zeit zu nutzen, um sich darauf vorzubereiten, indem sie ihre Ausgaben massiv reduzieren. Das bedeutet einen beträchtlichen Einschnitt in ihren Lebensstandard.
Meines Erachtens ist dies eine überzeugende Empfehlung, denn:
Wenn sie nicht downsizen und die Kündigung kommt, haben sie keine Zeit zu reagieren. Der Wegfall des Einkommens wird wahrscheinlich in der Privatinsolvenz enden. Downsizen sie und es kommt zu keiner Entlassung, dann haben sie sich gesund geschrumpft – und das war höchste Zeit.
Fallazien und rhetorische Manipulationstechniken
Manchmal gefällt einem ein Argument einfach nicht. Zum Beispiel, weil einem die Konsequenzen, die die Richtigkeit der Schlussfolgerung nach sich ziehen würde, nicht bekömmlich erscheinen. Das ist beim Thema Klimawandel zweifellos der Fall. Denn das Fazit des Sondergutachtens SR15 trieft förmlich aus allen Poren:
„Ihr verwöhnten Menschen müsst enorme und sehr unangenehme Einschnitte in eure Lebensgewohnheiten hinnehmen, wenn ihr die Kurve noch kriegen wollt.“
In einer solchen Situation ist man sehr empfänglich für obige oder andere logische Fehlschlüsse, die man irgendwo aufgeschnappt hat und entsprechend nachplappert. Die Argumente tun gut, weil sie einen vermeintlichen (gedanklichen) Ausweg aus dem Dilemma in Aussicht stellen. Genau das machen sich Menschen zunutze, die sich in der Rhetorik, der Kunst der Rede, besonders gut auskennen und daher Manipulationstechniken geschickt einsetzen können.
Damit betreten wir die vielfältige Welt der Scheinargumente. Einige davon werden im Folgenden explizit aufgezählt.
Intermezzo:
Diese Situation begegnet uns in Unternehmen immer wieder. Vor allem im Zusammenhang mit geplanten Veränderungsprojekten. Denn die Betroffenen kalkulieren: Wenn das Projekt erfolgreich umgesetzt wird, könnte ich an Macht und Einfluss verlieren. Scheinargumente schießen dann wie Pilze aus dem Boden.
„Ad hominem“-Argument
Dieses Scheinargument wird in letzter Zeit unglaublich oft vorgebracht. Man lenkt vom eigentlichen Thema ab, indem man „persönlich“ wird: Der Charakter oder eine persönliche Eigenschaft des Diskussionsgegners wird angegriffen, um eine Auseinandersetzung mit der eigentlichen Argumentation zu vermeiden.
Greta Thunberg wird von zwielichtigen Geschäftemachern geleitet, sie ist geschäftstüchtig, aus reichem Hause, verwöhnt, hinterhältig, böse, bigott, keine Expertin, … sind Beispiele dafür.
Man wird immun gegen dieses Argument, wenn man sich fragt: Angenommen, all das, was man über sie denkt, würde sich als wahr herausstellen. Würde das etwas an den Argumenten des Sonderberichts SR15 ändern? Dann ist die Antwort eindeutig: Nein, überhaupt nicht.
„Red Herring“-Argument – Nebelkerzen werfen
Auch dieses Scheinargument wird derzeit sehr häufig vorgebracht. Man lenkt vom Argument ab, indem man die Diskussion auf ein anderes Thema lenkt.
Politiker zum Beispiel zählen heute auf, was sie in den letzten Jahrzehnten alles für die Menschheit im Allgemeinen und für die Jugend im Besonderen getan haben. Sie verweisen auf all die großen politischen Errungenschaften, die sie jemals erreicht haben.
Unternehmer melden sich derzeit empört zu Wort und betonen, wie wichtig ihnen persönlich die Umwelt schon immer war und was sie bisher alles dafür getan haben.
Auch hier ist es egal, wer wo was wie gemacht hat: Wir stehen heute da, wo wir stehen. Genau hier setzt der Sonderbericht SR15 an und kommt achselzuckend zu dem Schluss: Das alles reicht nicht. Nicht einmal annähernd.
„Slippery-Slope“-Argument – Dammbruchargument
Statt sich mit dem Argument auseinanderzusetzen, wird ein „Dammbruch“ für den Fall prophezeit, dass man sich mit dem Argument auseinandersetzt. Es werden alle negativen Folgen beschrieben, die das Befahren der „rutschigen Steigung“ unweigerlich mit sich bringen wird. Konsequenzen, die selbstverständlich als (moralisch) verwerflich angesehen werden.
Dies ist z. B. der Fall, wenn darauf hingewiesen wird, dass die von den „Klimafaschisten“ der Öffentlichkeit aufgezwungenen Diskussionen unweigerlich zu einem sozialistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell führen, das mit demokratischen Vorstellungen unvereinbar ist.
„Strohmann“-Argument
Statt sich mit dem Argument auseinanderzusetzen, unterstellt man dem Gegner ein Argument, das er gar nicht vorgebracht hat, um dann empört dieses neue Argument zu widerlegen.
Ein gutes Beispiel dafür war ein Interview mit einem Politiker, der auf die UN-Rede von Greta Thunberg sinngemäß antwortete: „Wie kann sie es wagen, mir zu unterstellen, ich würde mein Kind nicht lieben und mich nicht um seine Zukunft kümmern? Mein Kind ist das Wichtigste für mich“.
Fazit:
Wir Menschen haben unterschiedliche Sichtweisen und Interpretationen der Wirklichkeit. Das ist aber nicht das Problem. Das Problem entsteht, wenn wir darauf beharren, dass es nur eine richtige und wahre Interpretation der Wirklichkeit gibt – im Zweifelsfall unsere eigene!
Das ist deduktive Logik. Deshalb mein Tipp: Deduktive Logik vermeiden!
Dazu ist es notwendig, sich ein Grundwissen darüber anzueignen, wie man selbst überzeugend argumentiert und wie man mit induktiven Argumenten anderer umgeht. Auch das Erkennen von Fallazien gehört zwingend zu einer fruchtbaren Debattenkultur.
Behandeln Sie den Austausch nicht als eine Gegenüberstellung von Argumenten, sondern als ein einziges komplexes (induktives) Argument, an dem man gemeinsam die Prämissen und Gegenargumente sammeln und validieren kann, um gemeinsam zu einer Schlussfolgerung zu gelangen, mit der die kritische Masse der Gruppe gut leben kann.