Was wäre, wenn Gott Banken mit dem Schöpfungsakt betraut hätte? Und was hat das alles mit der Frage zutun, wie eine Kreditforderung entsteht, wann man pleite ist und welcher Schaden eigentlich durch einen Kreditausfall entsteht?
Das Für und Wider von Grexit und die Kreditschulden von Griechenland sind derzeit in aller Munde. »Das Land ist doch längst pleite. Was macht es überhaupt für einen Sinn, noch mehr Kredite zu vergeben, wenn wir eh einen Kreditausfall erwarten?«
Das sind Themen, mit denen sich die Medien und das Volk intensiv beschäftigen.
Es fällt mir bei Diskussionen zum Thema Kreditschulden und Kreditausfall auf, dass man nach wie vor eine falsche Vorstellung davon hat, was die wahre Natur einer Kreditforderung ist.
Was macht eine Bank und wie entsteht eine Kreditforderung?
Die vorherrschende Meinung bzw. die öffentliche Wahrnehmung ist, dass Banken als Mittler zwischen Sparergelder und Kreditnehmer fungieren. Bei einem Kreditausfall erscheint die Sorge um die Kundeneinlagen daher durchaus berechtigt.
Laut eigener Darstellung der Marktprofis handelt es sich hier um den Vorgang der Giralgeldschöpfung. Das Verfahren der Giralgeldschöpfung steht in den Lehrbüchern. Ich selbst habe bis zur letzten Krise 2008 keinen Zweifel an diese Interpretation gehabt, obwohl (gerade weil?!) ich selbst so viele Jahre im Bankgeschäft tätig war. Die gängige Darstellung lautet stark vereinfacht:
Ein Kunde zahlt € 100, – auf sein Konto ein. Davon muss die Bank 1 % echtes Geld als Mindestreserve bei der Zentralbank vorhalten, sollte der Kunde Bargeld abheben wollen. Erst wenn die Bank € 1, – Reserveguthaben besitzt, verfügt sie über € 99, – virtuelles Giralgeld, das sie als Buchkredit an Dritte vergeben darf. Sofern die eigene Liquidität nicht ausreicht, refinanziert sich die Bank durch eine Kreditaufnahme bei anderen Banken, damit sie den Kredit ausreichen kann.
Die weitere gängige Annahme dabei: Die Banken erzeugen zwar selbstständig Giralgeld, aber die Zentralbank kontrolliert letztlich mittels der Pflicht zur Hinterlegung der 1% das Gesamtkreditvolumen der Banken.
Leider ist das alles knapp daneben und trotzdem vorbei. Denn apropos Giralgeldschöpfung, das Wort Schöpfung ist tatsächlich im sprichwörtlichen Sinne zu sehen:
Der Kredit entsteht nicht – wie oben beschrieben – ausgehend von den Sichtguthaben von Kunden und abhängig von den vorhandenen Mindestreserveguthaben, sondern er entsteht aus dem Nichts!
Die erste empirische Studie, die diese Sichtweise belegt, liegt nun vor.
Die Studie konnte belegen: Um einen Kredit auszahlen zu können, braucht die Bank weder Sichtguthaben von Kunden, noch überprüft sie die Höhe ihres Mindestreserveguthabens und auch nicht die zur Verfügung stehenden Refinanzierungsmitteln. Weder vorbereitend noch nachbereitend. Sie genehmigt einen Kredit von € X, – an Kunde A und verbucht ihn anschließend. Das ist alles.
- Auf der Aktivseite bucht sie eine Kreditforderung gegenüber Kunde A von € X, –.
- Auf der Passivseite wird das Geld auf dem laufenden Konto von Kunde A in gleicher Höhe gutgeschrieben.
Dadurch entsteht wie aus dem Nichts ein Sichtguthaben auf der Passivseite. Gebucht ist es als Verbindlichkeit gegenüber Kunde A! Warum? Es handelt sich um eine Verpflichtung der Bank gegenüber A, dass die Bank ihn jederzeit mit echtem (Zentralbank-) Geld in dieser Höhe versorgen wird, sollte A das wünschen.
Nachfolgend ein Gleichnis, damit Sie sich dieses virtuelle Kreditgeschäft hoffentlich leichter vorstellen können:
Ein Bewerber muss den Besitz eines Kraftfahrzeuges nachweisen, um bei einem Unternehmen einen Job zu bekommen. Der Bewerber kann natürlich mit einem echten Wagen vorfahren, aber dem Arbeitgeber genügt durchaus eine Bestätigung eines Autohändlers. Der Bewerber leiht vom Autohändler ein virtuelles Auto, das nie produziert werden wird, und bezahlt im Gegenzug € … p. a. als Leihgebühr. Der Autohändler bestätigt im Gegenzug schriftlich: »Ihr Auto der Marke … mit dem amtlichen Kennzeichen … steht auf Ihrem Parkplatz auf unserem Gelände und kann jederzeit abgeholt werden.« Das genügt dem Arbeitgeber und der Bewerber bekommt den Job.
Das virtuelle Auto entspricht dem Kredit. Die Übergabe des Bestätigungsschreibens des Autohändlers an den Arbeitgeber entspricht der Gutschrift einer Überweisung auf dem Konto des Verkäufers einer Ware, die mit dem ausgezahlten Kredit bezahlt wird.
Am nächsten Berichtsstichtag wird die Zentralbank darüber in Kenntnis gesetzt: »Schaut her, unser Sichtguthaben hat sich um € X, – erhöht. 1 % davon in euer Topf als Mindestreserve für den Fall, dass der Kunde zum Geldautomaten geht, 99 % im eigenen Topf für das nächste Kreditgeschäft.«
Und was ist mit 1 % echtem Geld? Muss die Bank wenigstens nachträglich diesen Betrag in echt anschaffen? Nein, muss sie nicht. Sie erhält eine gleichhohe Kreditzusage von der Zentralbank, dass sie diese Schuld später begleichen darf.
Wie Sie sehen: Die Kreditvergabe von Banken hat keinen Bezug zu Sichtguthaben von Kunden. Und es ist nicht die Zentralbank, die durch ihre Mindestreservevorschriften das Kreditverhalten der Banken beeinflusst.
Diese Behauptung wäre nämlich genauso wahr wie die Behauptung, dass ein Köter das Verhalten der Flöhe auf seinem Rücken regelt, weil ja der Köter entscheidet, wann und wo er sich kratzt.
Tatsächlich reagiert die Zentralbank automatisiert auf das Verhalten der Banken.
Soweit so bizarr, noch bizarrer wird es, wenn Marktteilnehmer – allem voran die Gesetzgebung – Virtualität und Realität nicht auseinander halten und sie willkürlich vermengen. Das ist regelmäßig der Fall bei einem Kreditausfall.
Wenn also ein Kreditnehmer den Kredit nicht zurückzahlen kann oder wenn eine Firma in Konkurs geht.
Insbesondere bei Firmenpleiten hat die tatsächliche Höhe des Kreditausfalls weitreichende rechtliche Konsequenzen und kann auch durchaus darüber entscheiden, ob ein Geschäftsführer ins Gefängnis muss. Und die ausstehenden Kreditforderungen der Banken sind der Bestandteil schlechthin der Gesamtschadenshöhe.
Vielleicht fällt Ihnen gerade wieder ein, dass Sie bereits in den Medien über ungewöhnliche Aussagen von Menschen wie Professor Franz Hörmann, Wirtschaftsuniversität Wien, gestolpert sind, die an dieser Stelle sinngemäß argumentieren:
Welcher Schaden eigentlich? Wem soll bitteschön bei einem Kreditausfall ein Schaden entstanden sein und in welcher Höhe? Der Kredit ist aus dem Nichts entstanden. Somit spricht nichts dagegen, dass man den offenen Restkredit mit einem umgekehrten Buchungssatz wieder in das Nichts auflöst.
Wäre es im obigen Beispiel mit dem Auto nicht absurd, wenn der Autohändler einen Schaden in Höhe des Wertes des virtuellen Autos, das nie produziert wurde, geltend macht und diesen Wert übers Gericht real eintreiben lässt?
Wenn man stringent in dieser Logik verweilt, stellt man eine weitere Besonderheit fest: Nicht nur, dass ein Kreditausfall keinen Schaden verursacht, der Ausfall bedeutet in der Regel einen echten Zugewinn für die Bank, denn sie verwertet daraufhin die Sicherheiten: Das echte Haus des Schuldners und der echte Warenlager der Firma. Und sie verbucht den abzuschreibenden Restbetrag ertragsmindernd, reduziert dadurch den ausgewiesenen Gewinn und die Steuerlast.
Mit der Beschreibung der wahren Natur eines Kreditausfalls möchte ich mich nun der Problematik von Staatspleiten zuwenden. Bevor wir aber die Mikroökonomie verlassen und uns mit der Makroökonomie und der Staatsverschuldung beschäftigen, schulde ich Ihnen noch die Antwort auf die Titelfrage:
Was wäre, wenn der liebe Gott Banken mit dem Schöpfungsakt betraut hätte?
Die Bank würde sich den realen Schöpfungsakt über mehrere Tage sparen und sich mit einem virtuellen Schöpfungsakt mittels eines simplen Buchungssatzes begnügen:
- Per: Forderung ggü Erde w/ Produktivitäts-Output durch Einsatz von Mensch, Getier, Grünzeug & Gedöns
- An: Verpflichtung ggü Erde zur jederzeitigen Lieferung von Mensch, Getier, Grünzeug & Gedöns
Das Äquivalent zu 1 % Mindestreserveguthaben darf natürlich auch nicht fehlen und die Bank verpflichtet sich daher, 1 % der benötigten Higgs-Teilchen beim lieben Gott zu hinterlegen. Nicht sofort natürlich.
Was ist eine Überschuldung? Laut Wikipedia ist Überschuldung ein Zustand exzessiver Schulden, den der Schuldner nach menschlichem Ermessen nicht mehr aus vorhandenen Einnahmen oder Vermögen beseitigen kann
.
In Deutschland steigen seit 1970 die öffentlichen Kredite Jahr für Jahr, weil Deutschland Jahr für Jahr mehr ausgibt als es einnimmt. »Aus vorhandenen Einnahmen« können wir also ausschließen.
Was ist mit »aus Vermögen«?
Um zu wissen, wen wir im Bedarfsfall enteignen könnten, müssen wir nicht nur die Schulden des Staates, sondern auch die der Unternehmen, Banken und Privathaushalte insgesamt betrachten.
Laut Studie von McKinsey&Company betrugen per 2. Q 2014 die Gesamtverbindlichkeiten Deutschlands 258 % der Gesamtleistung des Landes. Deutschland ist mit Faktor 2,6 überschuldet.
USA ist mit Faktor 2,7 überschuldet. Ist sie einen Tick pleiter als Deutschland? Und ist Griechenland mit Faktor 3,.. deutlich pleiter? Und Japan mit Faktor 5,2 am pleitesten?
Nein. Man ist pleite oder nicht. Die gesamte Welt ist zusammen gerechnet mit Faktor 2,9 überschuldet. Obwohl das so ist, setzen alle Marktteilnehmer – Länder und Unternehmen gleichermaßen – weiterhin unbeirrt auf ein ewiges Wachstum. Vielleicht kann ja die (über-) nächste Generation anfangen, die Schulden zurückzuzahlen. Ein Umdenken ist nicht in Sicht. Und das auf einem Planeten mit begrenzten Ressourcen. Man braucht kein Prophet zu sein, um dies vorhersagen zu können: Diese Fahrt endet eher früher als später zwangsläufig gegen die Wand.
Daraus folgen drei mögliche Szenarien:
Szenario 1: Wir, die Welt, gestehen uns ein, dass wir pleite sind und beginnen mit der Sanierung. Allem voran mit der Sanierung des Geldwesens. Konzepte dafür, wie das funktionieren könnte, sind vorhanden. Deren Umsetzung wird aber m. E. an ihre grundsätzliche Prämisse scheitern: Die mir bekannten Konzepte setzen voraus, dass die Staatslenker dieser Welt sich auf weitreichende Sanierungsmaßnahmen einigen.
Nennen Sie mich einen Pessimisten, aber Stand heute betrachte ich die Wahrscheinlichkeit, dass der Weihnachtsmann tatsächlich existiert, als deutlich höher im Vergleich dazu, dass Staatslenker dieser Welt sich auf weitreichende Sanierungsmaßnahmen einigen.
Szenario 2: Eine erzwungene Sanierung durch die Hintertür. Ein Gericht entscheidet Beim Kreditausfall zu Gunsten eines Kreditnehmers aufgrund der vorgenannten Argumente. Karlsruhe bzw. EuGH bestätigt das Ganze in letzter Instanz. In Folge überrollt eine Lawine die Kreditmärkte. Die Wahrscheinlichkeit für dieses Szenario ist womöglich aufgrund der nun vorliegenden Studie ein wenig gestiegen.
Szenario 3: Wir nehmen Japan als Vorbild. Japaner hatten m. E. schon immer ein besseres Verständnis für den richtigen Umgang mit virtuellen Realitäten.
- Das war das Erste, was ich seinerzeit als Banker im Umgang mit japanischen Kreditnehmern lernen musste: Viele Unternehmen sind in lose Verbunde organisiert (siehe Keiretsu). Bevor die Banken zusammengelegt wurden, konnte man zweifelsfrei sagen: Wenn der Verbund sagt, dass kein Kreditausfall bei einem Mitgliedsunternehmen vorliegt, dann liegt kein Kreditausfall vor! Punkt. Egal wie überschuldet das Unternehmen auch sein mochte. Es hat neue Kredite erhalten, um die fälligen Kredite zurückzuzahlen.
Dies vorausgeschickt, wir erkennen die virtuelle Wirklichkeit des Kreditgeschäftes vollumfänglich an, nehmen zur Kenntnis, dass es keinen Weg zurück gibt und dass es vollkommen egal ist, ob wir 2,7-fach oder 5-fach überschuldet gegen die Wand fahren.
Marktteilnehmer, Unternehmen genauso wie Länder, bekommen einen unbegrenzten Kreditrahmen. Jeder nimmt das, was er braucht in Anspruch und zahlt darauf Zinsen. Neue Schulen, neue Kitas, üppige Gehaltserhöhungen, modernste Maschinen, … alles ist (auf Pump) möglich und dennoch keine Pleiten zu befürchten, denn das Geld braucht uns nicht auszugehen.
Diese Autofahrt wird zwar genauso gegen die Wand enden, womöglich sogar deutlich schneller, aber die Insassen werden während der Fahrt deutlich entspannter und besser gelaunt sein.
Das unlogische Spiel, das wir derzeit spielen – nämlich völlig willkürlich einem Marktteilnehmer zuzurufen: »du bist pleite, ich aber nicht und ich möchte deinetwegen nicht pleite gehen« – macht aus vorgenannten Gründen überhaupt keinen Sinn und verdirbt nur unnötig die Laune aller Beteiligten.