Diskussion im Netz: Warum sorgen sachlich formulierte Fragen oder freundlich gemeinte Hilfeleistungen manchmal für heftige und emotionale Gegenreaktionen?
Und welche Lehren kann man daraus für den Firmenauftritt auf Social Media ziehen?
In diesem Beitrag geht es nicht um die Randgruppe der Internet-Trolle, die ihre Anonymität nutzen, um Stunk zu machen. Es geht um die Interaktionen der breiten Masse. Menschen, die sich mit ihrem Klarnamen und Bild zu erkennen geben. Menschen, die sich zu artikulieren wissen.
Dennoch scheint etwas in der Kommunikation derart ihre Knöpfe zu drücken, dass sie bei einer Diskussion im Netz die Sachebene verlassen und auf die persönliche Ebene wechseln. So zumindest die Wahrnehmung von außen.
Diskussion im Netz: Geht es wirklich um die “Sachebene” der Kommunikation?
Die Antwort ist zwischen den Zeilen zu suchen.
Spätestens seit Schulz von Thuns Kommunikationsquadrat ist es hinlänglich bekannt, dass in jeder Kommunikation auch eine Aussage über die Beziehung zwischen Sender A und Empfänger B getroffen wird.
Und diese scheint korreliert zu sein mit der inneren Haltung, die A einnimmt.
Die Formulierung einer Frage suggeriert eine Bitte. Ist das die Wahrheit und geht es wirklich um eine “Bitte”?
Wenn es um Kommunikation zwischen zwei Menschen geht, scheint es an der Tagesordnung zu sein, aneinander vorbei zu reden. Warum ist das so und was können wir dagegen tun?
»Wenn ich mal fragen darf …«. Ein Großteil der Streitgespräche beginnen mit einer vermeintlich harmlosen Frage. A bringt sachlich und höflich zum Ausdruck, dass es ihm um Erkenntnisse geht und dass er etwas verstehen möchte. Seine Frage ist somit verpackt als eine höfliche Bitte. B antwortet darauf ausweichend oder stellt eine Gegenfrage oder erzählt etwas ganz anderes.
Daraufhin sagt A: »Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet…«. Die Reaktion von B fällt nun sarkastisch oder ironisch aus. Kurz danach liest man von A: »Ich habe Ihnen höflich eine Frage gestellt. Warum können Sie nicht sachlich darauf antworten und werden stattdessen persönlich?« Die Eskalation ist also in vollem Gange. Was ist passiert?
Das Problem ist, dass die vermeintliche Bitte so gut wie nie wirklich als „Bitte“ gemeint war. Denn eine Bitte impliziert, dass man ein Geschenk bzw. einen Gefallen erwartet. Eine Haltung, die zu einer Bitte um ein Geschenk passt, wäre z. B. Offenheit: Wenn man ein Geschenk bekommt, dann freut man sich. Und wenn nicht, dann ist es absolut i. o., denn Geschenke kann man ja nicht einfordern.
Genau das tut jedoch A: Er zeigt sich enttäuscht und fordert eine Antwort von B ein. Es ist eine Erwartungshaltung hinter der Frage und keine offene Bitte. Frager A glaubt also, dass ihm eine Antwort zusteht und B fühlt sich unwohl in der ihm zugewiesenen Position und reagiert emotional.
Diskussion im Netz: Die Haltung impliziert ein hierarchisches Gefälle
Eine Erwartungshaltung, dass B eine Antwort schuldig ist, ist nicht per se verkehrt. Das hängt vom Kontext ab. Es gibt durchaus Situationen, in denen zwischen A und B ein solcher Konsens besteht. Beispielsweise wenn ein Kunde eine Frage an einen Verkäufer oder ein Chef an seinen Mitarbeiter stellt. Diese Situationen haben eines gemeinsam: Es existiert eine hierarchische Beziehung. A steht über B und kann daher eine fordernde Haltung einnehmen.
Und das ist des Pudels Kern im o.g. Konflikt: Die Haltung von A unterstellt ein hierarchisches Gefälle und ist somit ein persönlicher Affront gegenüber B.
Nicht B hat also damit begonnen, persönlich zu werden, sondern den Startschuss für die Kommunikation auf der persönlichen Ebene hat A mit seiner fordernden Haltung ausgelöst.
Man wird doch mal helfen dürfen …
Ein ähnlich gelagerter Konfliktfall entsteht im Zusammenhang mit der Haltung »Ich möchte helfen«. A möchte helfen und B reagiert persönlich und emotional darauf. Warum das?
Wenn A anstatt Hilfe erst anzubieten, ungefragt durch therapeutische Fragen und Mitteilung von Ratschlägen und Weisheiten direkt zur Tat schreitet, dann impliziert A dadurch, dass
- B Hilfe braucht und
- B es allein nicht bewältigen kann und ohne ihn aufgeschmissen wäre.
Auch hier suggeriert die Kommunikation eine hierarchische Beziehung: A stellt sich im Grunde über B. So in etwa wie zwischen einem Lehrer und einem Schüler oder einem Elternteil und seinem Kind.
Firmenauftritte auf Social Media
Dies vorausgeschickt, bei Firmenauftritten auf Internet-Plattformen sollte man sich der Problematik der Beziehungsaussage gewahr sein.
Nehmen wir an, Kunde A beschwert sich, sehr verärgert und im Ton vergreifend, auf der Facebook-Seite einer Firma und schimpft auf die schlechte Qualität der Ware bzw. der Dienstleistung. Betrachten wir dabei zwei mögliche Reaktionen des Firmenvertreters B:
- B antwortet auf der persönlichen Ebene: »Ich möchte Sie bitten, sich nicht im Ton zu vergreifen. Beruhigen Sie sich bitte erst und tragen Sie dann erneut Ihr Anliegen vor.«
- B antwortet auf der Sachebene: »Diese Seite ist lediglich eine kostenlose Dienstleistung unseres Hauses und dient dem Informations- und Erfahrungsaustausch zu Produkten und Märkten. Ich bitte Sie, sich mit Ihrer Beschwerde an den Kundendienst Ihres Produktes zu wenden. Die Kontaktinformationen finden Sie auf der Homepage.«
Beide Reaktionen führen sehr wahrscheinlich zu einer Eskalation anstatt zu einer Deeskalation: A hat nämlich eine hierarchische Kunde-Verkäufer-Beziehung vor Auge. Aus seiner Perspektive heraus steht ihm sehr wohl zu, Forderungen zu stellen und B aufzufordern, sich zu erklären. Mit dieser Haltung trifft er aber auf eine gegenläufige Haltung. Die dadurch entstehende Diskrepanz möchte ich anhand von diesen Gleichnissen verdeutlichen:
- Zu 1) Das Kind B hat ohne Genehmigung der Eltern eine Party veranstaltet. Seine Partygäste haben ein Chaos hinterlassen. Die wütenden Eltern A stellen schimpfend B zur Rede. B erwidert: »Nein, solange ihr wütend seid, möchte ich nicht antworten. Fragt mich wieder, wenn ihr euch beruhigt habt«.
- Zu 2) Ehefrau A hatte ihren Mann B gebeten, dringende Einkäufe zu erledigen, weil sie Gäste erwarten. B hat es vergessen. A stellt ihn in seinem Arbeitszimmer zur Rede. B erwidert: »Das ist mein Arbeitszimmer. Nicht hier, nicht jetzt! Du störst!«
Eine Fortbildung der Mitarbeiter, die als Firmenvertreter von einer Diskussion im Netz betroffen sein können, ist dringend geboten. Mein Tipp für Sie: Ein guter Weg, wie man jemanden emotional abholt und dennoch sich selbst und den eigenen Bedürfnissen treu bleibt, ist die Methode der gewaltfreien Kommunikation nach M. B. Rosenberg.
Ich-bin-dafür-nicht-zuständig-Haltung der Mitarbeiter
Ich möchte nochmals den 2. Fall aufgreifen, denn – ob Callcenter oder Social Media – er sorgt für viele Streitgespräche mit Kunden.
Unternehmen investieren viel Zeit und Geld, um den Namen ihrer Firma bzw. ihres Produktes oder den des Inhabers als Marke zu etablieren. Sie soll bekannt, erkannt und mit Eigenschaften assoziiert werden.
Ist dieser Schritt geschafft, dann arbeitet jeder Mitarbeiter einer Unternehmensgruppe aus Sicht der Kunden für die Marke und nicht für den Geschäftsbereich X oder Tochtergesellschaft Y.
Es sind die Bereichsegoismen innerhalb des Unternehmens, die für eine Ich-bin-dafür-nicht-zuständig-Haltung der Mitarbeiter sorgen. In meiner Arbeit mit Unternehmen spielt daher die Überwindung der Bereichsegoismen eine zentrale Rolle.
Ein Weg dorthin führt über die Klärung der übergeordneten gemeinsamen Ziele sowie der dazugehörigen gegenseitigen Rollenerwartungen zwischen Hierarchien und Kollegen.