Systemische Logik: Um ein Problem nachhaltig zu lösen, sollte man das Spiel, die Spielregeln und die eigene Position im Spiel verstehen.
Warum spielen Mitarbeiter und Kollegen nicht mit und machen nicht das, was sie sollen? Warum sind sie so unvernünftig und hören nicht auf triftige Sachargumente und blockieren wichtige Entwicklungen? Eher früher als später stolpert man im Berufsleben über diese und ähnliche Fragen.
Wenn Firmen aus eigener Kraft nicht weiterkommen, bitten sie externe Dienstleister um eine Lösung. Die Dienstleister stehen an sich vor ähnlichen Fragen. Sie orientieren sich an ihren „bewährten“ Lösungen und ihre bewährten Einführungs-/Umsetzungsstrategien und sie müssen letztlich mit den Achseln zucken, wenn die erhoffte Wirkung nicht eintritt:
»Meine Lösung ist ja als “Best Practice” im Markt bekannt und ich habe mich an dem vorgeschriebenen Verfahren meines Zertifizierers/des renommierten Prof. Dr. Dr. … gehalten, welches sich in der Vergangenheit besonders bewährt hat. Warum das diesmal nicht geholfen hat, kann ich nicht sagen. Das Problem liegt an/in der Firma.«
Die erhoffte Wirkung tritt erschreckend oft nicht ein: Die eine Lösung klingt zwar super, wird aber aufgrund der Blockadehaltung der Mitarbeiter nicht umgesetzt. Die andere kurzfristig schon, aber nicht nachhaltig. Und die Dritte hat Fern- und Wechselwirkungen, die man nicht bedacht hatte, und sorgt somit für zusätzliche Baustellen.
Das Problem – und die Lösung – liegt in der Tat an/in dieser Firma, um die es sich handelt. Mit all den Besonderheiten, Einzigartigkeiten und Spleens ihrer Mitarbeiter! Dafür kann es ja wohl kaum eine “bewährte” Lösung geben, die jemand von außerhalb beurteilen und einbringen kann!
Diese Erkenntnis war der Grund für mich, neue Wege zu gehen, um Antworten und letztlich neue Lösungsansätze zu finden.
Dabei waren einige Antworten, die ich suchte, bereits seit zig Jahren bekannt, aber meinesgleichen hatte bislang schlicht nicht „zugehört“! Zum Beispiel Systemisches Arbeiten und die vielen Antworten und Erkenntnisse, die man im Laufe der Jahrzehnte aufgrund der Arbeit mit Systemen – i. e. Zusammenschlüssen von Menschen – gesammelt hatte.
Systemische Logik
Sehr vereinfachend ausgedrückt, jeder System-Teilnehmer erzählt “Geschichten” darüber, wie er die Welt wahrnimmt. Und das System funktioniert anhand von (in der Regel unbewusst vereinbarten) Spielregeln der Teilnehmer untereinander, was sie aus den Geschichten machen und wie sie miteinander interagieren.
Die Spielregeln, nach denen gespielt wird, können für Außenstehende durchaus gänzlich absurd erscheinen. Aber das System hat bis heute einen Vorteil davon, das Spiel just so zu spielen und den Preis dafür in Kauf zu nehmen. Vielleicht aber ab morgen nicht mehr!
Legt man die systemische Logik zur Beurteilung einer Situation zugrunde, fällt es einem auf Anhieb auf, dass die Spieler nicht das, was sie vorgeben zu spielen, auch tatsächlich spielen. Aber sie scheinen einen Grund zu haben, diese Illusion kollektiv aufrecht zu erhalten!
- In meiner Arbeit mit Firmen ist daher der erste Schritt zu einer nachhaltigen Problemlösung die Änderung der Perspektive des Kunden, um das Spiel, die Spielregeln und die eigene Position im Spiel neu zu bewerten. Daher nehme ich in der zweiten Phase meiner A.D.L.E.R.-Methode eine “systemische Haltung” ein.
Ich nehme ein Beratungsmandat als Beispiel, um die systemische Logik verständlicher zu transportieren: Das “Symptom”, das in diesem Fall vordergründig behandelt werden sollte, war die Marketing- und Kommunikationsstrategie mit Kunden im Allgemeinen und über soziale Netzwerke im Besonderen.
Zu diesem Thema konnte man sich weder auf der Ebene der Geschäftsführung noch auf operativer Ebene einigen. Die Firma wollte daher mit einer Kombination aus Business Coaching & Consulting Abhilfe schaffen.
Die Selbstwahrnehmung der Firma war wie folgt:
»Der Kunde steht im Fokus unserer Aktivitäten. Da uns die Kunden und ihre Wünsche sehr wichtig sind, möchten wir auf ihre Reklamationen und negativen Feedbacks besser eingehen. Denn wir möchten aus jedem Kunden einen zufriedenen Kunden machen. Daher müssen wir unsere Kundenkommunikation optimieren.«
Nachdem ich einige Tage in der Firma verbracht, Mitarbeiter interviewt und an interne Sitzungen teilgenommen hatte, war meine Außensicht eine ganz andere: Der Kunde stand ganz und gar nicht im Fokus der Firma, sondern ausschließlich der Umsatz.
Wir haben gemeinsam eruiert, was tatsächlich gespielt wird: Die Verkäufer versprechen dem Kunden das, was notwendig ist, um einen Auftrag zu erhalten. Viele Versprechen können nicht eingehalten werden. Infolge gibt es Reklamationen. Die Reklamationen werden gesichtet und nur ein kleiner %-Satz der Wünsche wird nachträglich erfüllt.
Das interne Spiel, wie man mit Reklamationen umgeht und welche Kundenwünsche nachträglich erfüllt werden, wird umständlich und zeitintensiv nach bestimmten eingefahrenen Kommunikationsmustern gespielt. Zu den Ritualen gehören auch die Streitgespräche der unterschiedlichen Lager in den jeweiligen Sitzungen.
Diese Selbsterkenntnis war ein kleiner Schock für die Beteiligten, denn die obige Selbstwahrnehmung war keine reine PR-Aussage, sondern die Spieler meinten tatsächlich, dass sie das Spiel, so, wie oben beschrieben, spielen! Diese Selbsterkenntnis reichte noch nicht aus, um ggf. das Spiel zu verändern. Es fehlte noch die Frage: Wofür wird das Spiel so gespielt und nicht anders?
Jedes Spiel hat einen Nutzen/Vorteil und man bezahlt dafür einen Preis.
Manchmal ist unsere Aufmerksamkeit auf den Vorteil gerichtet und wir übersehen den Preis.
Manchmal leiden wir unter dem Preis und übersehen dabei den vorhandenen Vorteil.
Eine falsche oder richtige Lösung gibt es daher nicht. Die Lösung, die den erhofften Nutzen verspricht – und das System bewusst mit dem Preis leben kann – darf b. a. w. gültig sein. Aber vielleicht müsste sie bereits morgen wieder infrage gestellt werden, weil der Preis doch höher oder der Nutzen niedriger ausfällt als man zunächst glaubte.
Akzeptiert man das, wird das Suchen nach der vermeintlich richtigen Lösung – und das anschließende Festhalten daran – ersetzt durch: »Die Beständigkeit liegt in der kontinuierlichen Veränderung!«
In diesem Fall war die verstärkte Wahrnehmung des Preises „hoher interner Aufwand aufgrund der Kundenunzufriedenheit“ der Auslöser dafür, das Spiel infrage zu stellen. Was für einen Nutzen hat aber die Gesamtfirma von diesem Spiel? Denn ohne einen guten Grund hätten sich diese Spielregeln nicht nach und nach so eingependelt! Und wenn man den Nutzen nicht gewahr ist, läuft man Gefahr, das Kind mit dem Bade auszuschütten! Weitere zu klärende Fragen waren:
Welchen Nutzen haben diejenigen in der Firma, die das reine Umsatzdenken favorisieren, davon, dieses Spiel so mitzuspielen und sich unnötig und kostspielig mit Kundenreklamationen o. Ä. zu befassen? Warum sagen sie nicht: »Es ist so, wie es ist. Friss oder stirb!«
Welchen Nutzen haben diejenigen in der Firma, die die Kundeninteressen vertreten, davon, dieses Spiel so mitzuspielen und die Illusion zu verteidigen, dass der Kunde im Fokus stünde? Warum entlarven sie nicht die Illusion und schlagen auf den Tisch?
Ob für eine Einzelperson oder für eine Firma, dieser Blick in den Spiegel ist meist nicht angenehm, aber notwendig, um weiterzukommen. Erst nachdem die Beteiligten sich den möglichen Antworten gewahr wurden, konnten sie loslassen und sich neu und offen den Fragen zuwenden:
Wo wollen wir hin? Was für einen Nutzen versprechen wir uns davon? Welchen Preis akzeptieren wir dafür und was sollten wir laufend überprüfen, um sicherzustellen, dass dieser Preis nicht zu hoch ausfällt? Und – last, not least – wie kommen wir dahin?
Übrigens, in diesem Fall wurde aus dem ursprünglichen Marketingprojekt zunächst ein Controlling-Projekt!
1 Kommentar zu „Systemische Logik: Das ganze (Berufs-) Leben ist ein Spiel“
Eine Musterreaktion wie man sie oft kennt, sehr zutreffend beschrieben.
Solche standartisierte Verfahren lassen sich nur in wenigsten Fällen zielführend einsetzen, die Erfahrung im allgemeinen und Sacherfahrung des Beraters im speziellen lassen ebenfalls viel zu wünschen übrig, um die eigene Methodik kritisch auf ihre Anwendbarkeit und auf dem speziellen Fall oder Firma zu hinterfragen.
Häufig werden Lösungen präsentiert, wie z.B. Produktionssteigerung durch Umorganisation, Mitarbeitermotivation, gar Malus-, und Bonussysteme oder Schulung der Produzierende.
Leider werden diese Karten bzw. Schlagworte genauso ausgespielt auch wenn es sich um einen Milchproduzenten geht und die zu motivierenden Mitarbeiter im Grunde die Kühe sind.