Was sind die Vor- und Nachteile von Persönlichkeitsmodelle und ist es ratsam, solche Tests als Ausgangsposition für Potenzialentwicklung in der Mitarbeiterentwicklung zu nutzen?
In den vielen Jahren in Großkonzernen habe ich die unterschiedlichsten Persönlichkeitstests und die damit einhergehenden Persönlichkeitsmodelle über mich ergehen lassen.
Wie funktionieren solche Tests? Sie beantworten zig Fragen, werden anhand der Antworten kategorisiert und die ermittelten Merkmale der Persönlichkeit und die daraus abzuleitenden vermeintlichen Stärken und Schwächen werden beschrieben und in Farben oder Skalen visualisiert.
Die Nachteile der Persönlichkeitsmodelle
Zugegeben, ich hatte schon immer meine Probleme mit den gängigen Modellen. Denn sie beschreiben meist nur das beobachtbare Verhalten:
- “Er hat viel Handlungsenergie, sucht die soziale Interaktion, …”
Super! Und nun?
Ich finde Persönlichkeitsmodelle brauchbarer, die das “Warum” beantworten wollen: Ihre Handlungsenergie kommt daher, weil Sie
- immer als Sieger aus einem Kampf hervorgehen möchten, weil …
- Themen mit Perfektion beenden möchten, weil …
- andere von Ihren Visionen überzeugen möchten, weil …
Wie sie sehen, erscheinen diese drei Typen nach außen in diesem Punkt gleich, haben aber ganz unterschiedliche Beweggründe. Ich finde, dass die Motive und Bedürfnisse eine weitaus bessere Orientierung für den optimalen Einsatz des Mitarbeiters liefern, als sein beobachtbares Verhalten.
Das andere Problem ist, dass Ihre Mitarbeiter bei der Beantwortung der Fragen gerne schummeln. Denn sie haben eine Vorstellung davon, welches Ergebnis Sie als positiv ansehen werden und sie beantworten die Fragen entsprechend. Geht es z. B. um Ihren Führungsnachwuchs, werden womöglich von ihm alle Fragen, die nach Macher-Typ riechen, entsprechend hoch beantwortet.
Die Vorteile von Persönlichkeitsmodelle
Wenn ich mit Teams und Gruppen arbeite, verwende ich sogar sehr gerne Persönlichkeitsmodelle, die das Warum beschreiben. Beispielsweise, um über Persönlichkeits- oder Organisationstypen zu sprechen.
Denn Modelle fassen ähnliche beobachtbare Muster zusammen und bringen die Kernspezifika perfekt auf den Punkt.
So haben Sie und Ihre Mitarbeiter eine gemeinsame Sprache und können wesentlich leichter über komplexe Situationen reden.
Ich denke beispielhaft an einen bereichsübergreifenden Workshop. Am Ende haben sich die Teilnehmer hierauf verständigen können:
»Ja, wir sind nach der Modell-Definition eine “emotion-lastige” Organisation mit vielen der beschriebenen beobachtbaren Symptomen. Die “ratio-lastigen” Themen – wie beispielsweise Controlling und Risikomanagement – kommen zu kurz, was wiederum erklärt, warum wir heute in einer finanziell angespannten Situation sind«.
Auch ohne psychologische Kenntnisse werden Sie leicht erkennen können, dass diese gemeinsame bereichsübergreifende Erkenntnis es für das Management leichter machen wird, entsprechende Restrukturierungsmaßnahmen erfolgreich umzusetzen.
Persönlichkeitsmodelle und -tests als Ausgangsposition für eine Mitarbeiterpotenzialentwicklung
Sind vom Arbeitgeber veranlasste Persönlichkeitstests dafür zu gebrauchen? Meine Antwort lautet eindeutig: nein! Es sei denn, Ihr Mitarbeiter hat sich aus eigenem Antrieb, ohne Druck und ohne erkennbares Ziel (!) auf den Test eingelassen.
Nehmen wir aber sogar an, dass das Testergebnis eine fundierte und gute Annäherung an die Ist-Situation des Mitarbeiters darstellt. Die spannende Frage lautet nun: Was machen der Mitarbeiter selbst und Sie als Arbeitgeber mit diesen Informationen?
Stärken, Schwächen, Potenziale, … , sind die üblichen Stichworte, um die es sich anschließend handelt. Was sie aussagen, ist jedoch Ansichtssache!
Sind Stärken auch wirklich “Stärken”?
Ich werde Sie im zweiten Teil ein wenig für die eigentliche Problematik in diesem Zusammenhang sensibilisieren.
4 Kommentare zu „Sind Persönlichkeitsmodelle für Mitarbeiterentwicklung geeignet?“
Pingback: Eignen sich Persönlichkeitsmodelle für Mitarbeiterentwicklung?
Hallo Herr Ghaffari,
eine interessante Artikel-Reihe! Ich finde aber nicht, dass man so pauschal von „den Persönlichkeitsmodellen“ sprechen kann.
Sie haben natürlich Recht, dass Modelle, die Verhalten eher beschreiben, statt es zu erklären, nicht so toll sind. Es gibt aber einige Modelle, die sich mit Temperamenten beschäftigen, also einer langfristig konstanten Neigung zu bestimmten Denk- und Verhaltensweisen. Diese können dann auch die Frage nach dem „warum“ beantworten.
Insofern finde ich schon, dass einige Modelle ganz gute Ansätze zur EIGENEN Weiterentwicklung liefern können. Vor allem als ich Teil 2 gelesen habe, kam mir folgende Überlegung: wie wäre es Ihnen wohl ergangen, wenn Ihnen das Unternehmen Persönlichkeitstest und Gespräch mit einem zertifizierten Coach ermöglicht hätte, OHNE, dass diese Ergebnisse anschließend der Personalabteilung oder dem Chef zugeführt werden?
Bei so einem Setting kann man zu 100% ehrlich antworten und dann hätten Sie vielleicht schon viel früher Ihre Neigung, jede Herausforderung anzunehmen, erkannt und Hinweise zum Umgang damit erhalten. Könnte doch sein, oder?
Außerdem können Mitarbeiter, die in der Anwendung eines Persönlichkeitsmodells so geschult werden, dass Sie damit Kunden, Kollegen und/oder Mitarbeiter besser verstehen können, sogar eine direkte persönliche Weiterentwicklung im Bereich der emotionalen Intelligenz erfahren, denken Sie nicht?
Viele Grüße
Carlo Düllings
Hallo Herr Düllings und vielen Dank für Ihren guten Beitrag. Zu Ihrer ersten Anmerkung: Es ist wohl leider untergegangen, dass ich – wie Sie – nicht von „den Modellen“ spreche, sondern zunächst zwischen phänomenologischen und anderen differenziere. Sogar die erstgenannten Modelle sind teilweise dafür geeignet, damit ein Coach als gemeinsame Sprache in die Thematik des Klienten einsteigt oder man den Mitarbeiter für „Faktor Mensch“ im Allgemeinen sensibilisiert.
Ein spannendes Thema, das Sie ansprechen. Ich kann hier nur über meine eigene Arbeitsweise mit Firmenkunden und ihren Führungskräften sprechen: Für mich verläuft die entscheidende Grenze nicht an den Punkten, die Sie aufführen, sondern hier:
Einer der wichtigsten Fragen, die ich bei einer Auftragsklärung mit Firmenkunden kläre, ist, ob es sich um ein vom Arbeitgeber bezahltes „Private Coaching“ oder um ein „Business Coaching“ handelt.
Der erstgenannte Fall ist eher selten und ist letztlich ein Incentive des Arbeitgebers. Ähnlich wie Bonuszahlung, Firmenwagen, Reise- oder Einkaufsgutschein. Es hilft, wenn man die Ausgaben gedanklich dem Topf „Personalkosten“ zuordnet. In diesem Fall würde ich nicht nur das Thema behandeln, das nur der Klient mir vorgibt, ich hätte auch kein Problem damit, dass wir im Zuge des Coachings zu einem neuen Thema übergehen, sollten wir darauf stoßen und als dringend betrachten.
Der letztgenannte Fall hingegen gehört aus Firmensicht gedanklich eher in die Ausgabenkategorie „Beratungskosten“ und ist der gängige Fall. Man kann hier davon ausgehen, dass ein konkreter betrieblicher Anlass den Coaching-Bedarf ausgelöst hat. Unabhängig davon, ob der Klient selbst oder der Arbeitgeber den Coaching-Bedarf erkannt hat. Sei es, um einer aktuellen Schwierigkeit beizukommen, oder eine anstehende künftige Herausforderung besser zu meistern. Auch wenn der Arbeitgeber vage bleiben möchte, meiner Erfahrung nach gibt es immer eine Erwartungshaltung, was er sich von diesem Coaching erhofft. Unabhängig davon, ob ihm das Ergebnis des Coachings offiziell zugeführt wird oder nicht! Einen Business Coaching-Auftrag nehme ich daher nur dann an, wenn wir uns in diesem Dreiecksverhältnis einig sind, was das Thema ist! Dann bleibe ich als Coach bei diesem Thema. Sollte sich ein neues Thema auftun, bedarf es einer erneuten Auftragsklärung für das neue Thema!
Lange Rede, kurzer Sinn, im geschilderten Fall hätten weder ich noch mein Chef diese Problematik als ein mögliches Thema auf dem Radarschirm gehabt, denn es gab keinen beruflichen Anlass! Das Thema wäre – wenn überhaupt – im Wege eines Private Coaching ans Tageslicht gekommen.
Zu Ihrem letzten Punkt eine Anmerkung: die oben geschilderte Problematik gilt genauso, wenn ein interner Coach tätig ist!
Sonnige Grüße
“..wie wäre es Ihnen wohl ergangen, wenn Ihnen das Unternehmen Persönlichkeitstest und Gespräch mit einem zertifizierten Coach ermöglicht hätte, OHNE, dass diese Ergebnisse anschließend der Personalabteilung oder dem Chef zugeführt werden? …”
Mir wurde damals des öfteren vom Inhaber eines Unternehmens in der ich als Fremd-GF tätig war solche Coachings angeboten.
Auch wenn mir stets versichert wurde, dass der Coach sachkundig und die Gespräche vertraulich sind, habe ich von diesen Angeboten keinen Gebrauch gemacht.
Ich sah damals keinen Bedarf in einem Coaching, darüber hinaus sofern ich einen Bedarf doch noch verspürt hätte, wäre ich sicherlich in der Lage gewesen auch unabhängig vom Arbeitgeber oder seiner Finanzierung aus eigener Initiative und auf eigener Rechnung einen Coach meines Vertrauens zu finden.
Ein Coaching gehört für mich zu den privaten Bereichen meines Lebens genauso wie eine Untersuchung bei meinem Urologen.