Wann verzetteln sich Unternehmen in der Unternehmens-Strategie bzw. der strategischen Positionierung? M. E. ist eine Gesetzmäßigkeit zu beobachten.
Ein im Marketing feststehender Begriff ist das sogenannte “Relevant Set“. Hinter diesem Begriff verbergen sich Maßnahmen, die das Ziel haben, ein Produkt oder eine Dienstleistung auf der Einkaufsliste des potenziellen Kunden stetig weiter nach oben zu bringen.
Man geht also von der Annahme aus, dass es im Gehirn des Menschen eine Art Rangordnung gibt, die sich durch gezielte Werbemaßnahmen verändern lässt.
Wie inzwischen aber mehrere neurowissenschaftliche Studien bestätigt haben, gibt es genau diese Rangordnung nicht. Im Gehirn des Verbrauchers gibt es nur zwei Plätze: “erster Platz” und “dahinter“.
Dies vorausgeschickt, geht es also darum, die Kunden zu identifizieren, bei denen die Chance besteht, auf den ersten Platz zu kommen bzw. diesen zu verteidigen: Wenn der Kunde an sein Problem denkt, soll mein Name/meine Marke automatisch in sein Gedächtnis aufblitzen.
Strategie Positionierung: Kundenbedarf versus Produktverkauf
Ein Unternehmen wird nicht selten aufgrund eines konkreten Kundenbedarfs gegründet:
- Eine Produkt-/Dienstleistungslücke, die der Neu-Unternehmer beim alten Arbeitgeber entdeckt hatte
- Oder ein aufkommender neuer Trend im Einkaufsverhalten, den man in Gesprächen identifiziert hatte
- Oder …
Aus dieser Ausgangsposition heraus startete man eine erfolgreiche Unternehmung. Was aber dann nach einer gewissen Zeit passiert, ist, dass man denkt:
Ich habe ein erfolgreiches Produkt und loyale Kunden. Diese Kunden habe ich ja schon. Für wen noch könnte dieses Produkt infrage kommen? »Neue Zielgruppen erschließen« wird gerne von Beratern propagiert.
Wenn Sie mich fragen, das ist häufig genau der Zeitpunkt, wo die Verzettelung in Strategie & Positionierung anfängt: Der Fokus wechselt vom »Bedarf meines Kunden« zu »Kunden für mein Produkt«.
Der zu mir passende Kunde
Als Produktverkäufer geht man von den (sachlichen) Stärken des eigenen Produktes aus und identifiziert (sachlich) die dazu passenden Kunden. Kundenbedarf jedoch ist ein großteils emotionaler Vorgang und es hat mit den Bedürfnissen, Werten und Vorstellungen des Kunden zu tun. Nehmen wir ein plakatives Beispiel:
Angenommen Sie sind ein Großhändler für High End Marken-Smartphones. Sachlich betrachtet sind alle Elektro-Fachhändler Ihre potenziellen Kunden. Stellen Sie sich bitte jedoch diese beiden Fachhändler mit ihren jeweiligen Vorstellungen vor (sie stehen stellvertretend für die dazu passenden Endkunden):
- Fachhändler 1: Der Kunde findet in meinem Laden bereits heute die Technik von morgen vor.
- Fachhändler 2: Der Kunde kriegt in meinem Laden Markenartikel zum Preis von No-Name-Produkten.
Die mögliche Auswirkung auf die Strategie und Positionierung des Anbieters liegt auf der Hand:
- Will ich die Aufmerksamkeit der ersten Gruppe gewinnen, und für Kundenbegeisterung sorgen, dann versuche ich vermutlich einen Kontakt zu den Entwicklungsabteilungen der Hersteller zu etablieren, gehe viel auf Fachtagungen o. Ä.
- Für die zweite Gruppe benötige ich eher einen guten Draht zu der Produktion, und es geht vermutlich um die Frage: »Wie viel Stück muss ich mindestens abnehmen, damit du, lieber Hersteller, mir eine sehr schlanke und dafür sehr preiswerte “Special Edition” lieferst? Kein Schnickschnack drin, Hauptsache dein Label ist darauf«.
Ich behaupte: Eine normale Firma mit begrenzten Ressourcen kann nicht gleichzeitig bei beiden als Anbieter den besagten ersten Platz im Gehirn belegen, denn diese beiden “ticken” zu unterschiedlich. Je nachdem wie Sie selbst ticken, wird der eine folglich Ihr Lieblingskunde, und der andere wird ständig nörgeln, unzufrieden sein und Sie dazu drängen, “mehr” zu machen. Und das alles kostet Geld. Ihr Geld.
“Hidden Champions” machen es vor: Je “spitzer” man aufgestellt ist, desto größer ist die Chance dafür, den ersten Platz zu besetzen.
Die richtige „Herde“
Der Mensch ist ein Herdentier. Daher ist es essentiell, welche Herde, also welche soziale Gruppe, mit meinem Produkt angesprochen wird.
Marketing-Experten können wohl recht gut herdenkonforme Strategien entwerfen. Aber: In der Frage der Erschließung von neuen Zielgruppen übersieht man gerne eine andere Frage: Mit welcher Herde will ich auf jeden Fall nicht in Verbindung gebracht werden! Diese Erfahrung machen immer wieder beispielsweise Hotels oder Autohersteller im gehobenen Segment, die sich vornehmen, neue Zielgruppen im unteren Preissektor zu erschließen und sich anschließend wundern, dass ihnen ihre Kernkunden wegbrechen.
Die richtigen Mitarbeiter
Das Problem der Verzettelung setzt sich auch bei der Wahl der Mitarbeiter fort. Auch hier ein plakatives Beispiel zur Verdeutlichung:
Stellen Sie sich vor, Sie sind eine kleine Finanz-Dienstleistungsboutique und Ihre erklärte Zielgruppe sind Superreiche.
Nehmen wir allein diese beiden: Carsten Maschmeyer auf der einen und die Aldi-Brüder auf der anderen Seite. Ich kenne sie weder noch persönlich, aber ich darf mutmaßen: Der “Chacka!”-Verkäufer wird womöglich beim Erstgenannten “Welpenschutz” genießen und eine reelle Chance bekommen und bei den Letztgenannten keinen einzigen Termin bekommen.
Wenn Geld ausreichend vorhanden ist, und Synergieeffekte keine große Rolle spielen, kann man natürlich unterschiedliche Berater-/Verkäufer-Typen für die unterschiedlichen Zielgruppen einstellen. Ökonomischer ist es jedoch zweifelsohne, “spitz statt breit” aufgestellt zu sein, die Bedürfnisse dieser einen Zielgruppe in und auswendig zu kennen und von der Produktausrichtung bis hin zu Mitarbeiterwahl alles darauf auszurichten.
Wie kann man trotzdem wachsen? Vielleicht so?
- Weiterhin spitz statt breit aufgestellt,
- die Internationalisierung vorantreiben und sich fragen:
- Was für ein dringendes Problem hat mein guter Kunde noch, wofür ich eine Lösung anbieten könnte?
2 Kommentare zu „Unternehmens-Strategie und strategische Positionierung“
Die Generalisierung der Angebote eines Unternehmens muss nicht zwangsläufig zu einer Verzettelung führen.
Es gibt zahlreiche Beispiele bei Unternehmen die jahrzehntelang mehr oder weniger profitabel, neben ihrem Kerngeschäft auch eine kleine Nische bearbeiteten.
Mir fällt hierzu ein Beispiel aus den 1980 er Jahre ein.
Ein Exporteur von oberklasse Fahrzeugen baute auch gelegentlich für diese Fahrzeuge Panzerungen ein. Der Verkauf der gepanzerten Fahrzeuge war mehr oder weniger als “Hobby des Chefs” angesehen und erforderte einen sehr großen Aufwand im vergleich zu dem reinen Handel.
Als in den 1990 er Jahr in den ehemaligen Sowjetrepubliken der Bedarf an solchen Fahrzeugen sprunghaft stieg, konnte er als Anbieter aufgrund langer Tradition und Erfahrung in dieser Sparte dieses Geschäft zum Hauptgeschäft machen. Das eigentliche Exportgeschäft unterlag in dieser Zeit einer sehr großen Konkurenz und somit ist es wenig lukrativ gewesen.
Falls ich Ihr Beispiel richtig verstanden habe, ist es sogar perfekt geeignet, um meine These zu unterstreichen. Die Panzerung betraf offensichtlich ein konkretes Bedürfnis aus derselben Kundengruppe. Später blieb Ihr Protagonist kundenorientiert und wurde eben nicht produktorientiert: Er richtete sich an die geänderten dringenden Bedürfnisse seiner Kunden aus und hat sich nicht stattdessen gefragt: Welche neue Zielgruppe wo muss ich wie beliefern, damit ich mein “Produkt” Exportgeschäft retten kann?