Obwohl der anglosächsische Investment Banking-Sprachgebrauch längst auch beim deutschen Mittelstand angekommen ist, übersieht man gerne den gravierenden Unterschied zur kontinentaleuropäischen Sichtweise.
Der anglosächsische Sprachgebrauch aus dem Investment Banking ist längst auch beim deutschen Mittelstand angekommen. Man spricht wie selbstverständlich von “ROI”, “EBIT”, “IRR”, etc. Und der Mittelstand greift auch auf Investmentbanking-Produkte zurück: Privatplatzierungen, Forderungsverbriefungen, IPOs, usw.
Der kritische deutsche Manager wird an dieser Stelle anmerken: Das haben wir schon immer gekannt und gemacht. Jetzt verwenden wir lediglich englische Begriffe dafür. Das mag so aussehen, aber das ist nicht der entscheidende Unterschied!
Der Unterschied ist, dass sich m. E. hinter der anglosächsischen Sicht eine sehr unterschiedliche Philosophie verbirgt, die an sich nicht kompatibel ist mit der kontinentaleuropäischen. So erlebe ich seit vielen Jahren, wie man – als Laie und Profi gleichermaßen – aneinander vorbeiredet. Diese unterschiedlichen Sichtweisen kann man an diesen beiden Themen besonders gut erkennen:
1. Barwert von künftigen Cashflows
Sicher, auch Ihr Geschäftsbericht enthält die Betrachtung der Cashflows. Ich behaupte aber, dass der typische deutsche Manager primär die GuV-Zahlen betrachtet und nicht die Cashflows (zur Erinnerung: Wenn Sie eine Rechnung raussenden, haben Sie einen GuV-Umsatz aber noch keinen Cashflow).
Auch Ihre IT kann sicherlich bei Bedarf eine Barwertberechnung der künftigen Cashflows durchführen. Ich behaupte aber, dass der typische deutsche Manager bei seinen Entscheidungen primär auf die (GuV-)Ist- und Planzahlen o. Ä. achtet und nicht auf die Berechnung des heutigen Wertes der erwarteten künftigen Cashflows.
In der anglosächsischen Welt aber ist die Zeitwertbetrachtung so sehr ins Fleisch und Blut übergegangen, dass man gar nicht mehr darüber reflektiert. Man nennt es gerne den “Preis” und tappt offensichtlich in die folgende Falle: Man tut so, als ob der berechnete Wert aus heutiger Sicht auch heute faktisch schon da ist! Dabei ist dieser Erwartungswert nur eine Wahrscheinlichkeit und somit eingebettet in eine Wahrscheinlichkeitsverteilung von … bis …
So erkläre ich es mir zumindest, warum man die Barwerte verpackt, zerpflückt, wiederverpackt und weiterverkauft, so als ob sie echt und real wären. So wie wir es bei der Finanzkrise erlebt haben und wohl immer wieder erleben werden. Würde man die Bandbreite von … bis … zum errechneten Preis mit angeben, kämen vermutlich viel weniger (kontinentaleuropäische) Investoren auf die Idee, in riskante Transaktionen investieren zu wollen. Das ist das Stichwort für den zweiten Punkt.
2. Die Definition von Risiko
Kontinentaleuropäisch spricht man von Risiko, wenn man “Geld verlieren” meint.
Anglosächsisch spricht man von Risiko, wenn man “eine Abweichung von einer Erwartung” meint.
Hierzu ein Beispiel zur Verdeutlichung: Sie sehen als Investor die vergangenen Zahlen 19, 20, 21. Sie erwarten für die Zukunft den Mittelwert hieraus, nämlich 20. Die mögliche Abweichung von dieser Erwartung ist +/- 1.
Aber auch die Zahlenfolge 10, 20, 30 ergibt denselben Mittelwert 20, aber nun mit +/- 10! Hier spricht man von einer höheren “Volatilität”, sprich höheres “Risiko”. Für dieses Risiko wollen Sie als (anglosächsischer) Investor einen höheren Risikoaufschlag berücksichtigt sehen.
Plakativ kann man den Unterschied so auf den Punkt bringen: Wenn Sie den Totalausfall Ihrer Investition sicher prognostizieren können, haben Sie (anglosächsisch betrachtet) null Risiko!
Wenn die Bank um die Ecke, die gerne ihre Kompetenz in Investmentbanking für den Mittelstand hervorhebt, einen “schlechten” Kreditnehmer ablehnt, dann ist diese Diskrepanz bei der Bank und der Bankenaufsicht (und auch dem Kreditnehmer!) noch nicht angekommen:
Es gibt (anglosächsisch betrachtet) keine schlechten Risiken, die man abzulehnen braucht, sondern höchstens falsche Preise für ein gegebenes Risiko. Hüben nennt man Menschen, die diese an sich simple Logik beherzigen, “Kredithaie”, drüben “Hedgefonds”. Letztere wissen nur besser, wie man seriöse Investoren für das “Produkt” gewinnen kann :)
Zu Ihrer Beruhigung: Auch Investmentbanking-Experten scheinen diesen Unterschied gerne aus den Augen zu verlieren: Beispielsweise, wenn ein namhafter Bankenchef eine Rendite von 25% für sein Haus fordert, und zwar gleichermaßen von Geschäftsbereichen mit geringer Volatilität (z. B. Privatkundengeschäft) und sehr hoher Volatilität (z. B. Investmentbanking). Die richtige Forderung wäre gewesen: Der Erstgenannte liefert sagen wir 7% Rendite ab, der Letztgenannte 70% und im gewichteten Durchschnitt kommen wir dann auf die 25%.
Meine Empfehlung: Für den deutschen Mittelstand lohnt es sich dennoch, sich – unter Meidung der obigen Fallstricke – intensiver mit Investment Banking und der anglosächsischen Sicht zu befassen und sie für die eigenen Zwecke zu adaptieren. Die Anwendungsfelder sind nämlich vielfältig und sehr attraktiv:
- Sie werden für Ihre GmbH einen virtuellen “Aktienkurs” berechnen können. Dadurch werden Ihre Mitarbeiter zeitnah die wirtschaftliche Entwicklung der Firma mitverfolgen können, ohne dass Sie die Zahlen offenlegen müssen.
- Sie werden den Wertbeitrag der einzelnen Geschäftsbereiche miteinander vergleichen können, und zwar nicht nur anhand der GuV- und Planzahlen, sondern auch anhand der Risiken, die die Geschäftsbereiche hierfür eingehen (müssen).
- Sie können die Boni der Führungskräfte an die vorgenannten Zahlen koppeln.
- Sie werden den Wertunterschied in Euros ausrechnen können, zwischen den Fall, dass ein Kunde x Umsatz p. a. bringt, aber jeden Augenblick zum Wettbewerber wechseln könnte, versus für den Fall, dass er Ihnen diesen p. a. Umsatz für die nächsten 2 Jahre fest zusagt.
Und vieles mehr.
Sehr gerne unterstütze ich Sie dabei.
2 Kommentare zu „Investment Banking für den Mittelstand?“
Pingback: Rentabilität ist riskant & faktor-menschlich | Fachblog: Kourosh Ghaffari
Sehr aufschlussreich, weitere Beispiele würden mich sehr intressieren.