Siehe Auswertung der Umfrage weiter unten, Kunden wollen „Sie“ und bekommen „Du“! Wie lässt sich diese Diskrepanz erklären? Wir bewegen uns hier in der Welt der unbewussten “kognitiven Heuristik”.
Vor mehr als zwei Jahren schrieb ich den Artikel „Kundenkommunikation: Warum wird überall nur noch ungefragt geduzt?“.
Das Echo auf den Artikel war überwältigend. Nicht nur, weil der Artikel bis heute kommentiert und geteilt wird, sondern vor allem, weil sich viele Leser die Zeit genommen haben, mir eine private E-Mail zu schreiben und mir ihre Erfahrungen mitzuteilen. Ich fühle mich geehrt.
Mir war in der Tat nicht bewusst, wie emotional besetzt das Thema ist. Wie sehr die Zwangsduzerei – ohne Not, wohlgemerkt – derzeit viele Kunden irritiert, einige sehr verärgert und ganz wenige beschwerdeführend macht.
Aufgrund dieser Resonanz habe ich kürzlich in einer anonymen Umfrage eine einzige Frage mit vorgegebenen Antwortmöglichkeiten gestellt, um ein Indiz dafür zu bekommen, wie die Kunden wirklich angesprochen werden wollen. Die Frage lautete:
- „Ein Unternehmen will Ihnen, Herr Max Mustermann, etwas verkaufen. Wie wollen Sie angeredet werden?“ Die Umfrage wurde auf den Social Media Plattformen “LinkedIn”, “facebook” und “Twitter” veröffentlicht. Die überwiegende Mehrheit der Antworten entfiel auf die erste Gruppe.
Ergebnis der Umfrage:
Die Umfrage wurde vom 26.10. bis 20.11.2020 durchgeführt.
115 Teilnehmer haben insgesamt 175 Antworten angekreuzt.
Sie (%) | Du (%) | |
---|---|---|
Sehr geehrter Herr Mustermann, kennen Sie […] | 30,9 | |
Lieber Herr Mustermann, kennen Sie […] | 22,3 | |
Hallo, Herr Mustermann, kennen Sie […] | 18,3 | |
Hallo Max, kennen Sie […] | 10,9 | |
Guten Tag, Herr Mustermann, kennen Sie […] | 08,0 | |
Lieber Max, kennst du/Du […] | 6,9 | |
Hi Max, kennst du/Du […] | 1,7 | |
Hallo Max, kennst du/Du […] | 1,1 | |
Hey! Kennst du/Du […] | 0,0 | |
90,3 | 9,7 |
Nur ein Indiz, ja, aber angesichts der hitzigen Debatten, die ich in den sozialen Netzwerken zu diesem Thema verfolge, habe ich persönlich keinen Zweifel daran, dass die Aussagekraft signifikant ist.
Ich erlebe Menschen im aktiven Kundengeschäft als intelligent, neugierig und wissbegierig. Sie sind am Puls der Zeit und setzen sich aktiv mit Kunden und Märkten auseinander. Man kann also mit Sicherheit ausschließen, dass sie sich so verhalten, weil sie Kunden verärgern oder loswerden wollen. Wie kommt es also zu einer so gravierenden, branchenübergreifenden Fehleinschätzung eines elementaren Kundenbedürfnisses?
In diesem Beitrag geht es daher um die Frage, wie die Diskrepanz zwischen dem, „was die Kunden wollen“ und dem, „was die Kunden bekommen“, erklärt werden kann.
Frage: Was tötet mehr Menschen, Haie oder Rotwild? Sie fragen sich wahrscheinlich, was diese seltsame Einstiegsfrage soll?
Heuristik und kognitive Verzerrung
Nun, mit dieser Frage befinden wir uns in der Welt der Heuristik: der Kunst, trotz begrenzten Wissens und begrenzter Zeit dennoch brauchbare Antworten zu finden. Dazu gehören auch Faustregeln, Bauernregeln etc.
- Die gute Nachricht ist, dass wir Menschen oft ganz gut damit zurechtkommen. Wenn Sie zum Beispiel denken: “Das riecht nach einer Fangfrage. Die richtige Antwort ist wahrscheinlich Rotwild”, dann haben Sie bereits erfolgreich eine Heuristik angewendet.
- Die schlechte Nachricht ist, dass wir erschreckend oft gar nicht merken, wenn wir mit unserer Antwort/Lösung völlig daneben liegen.
Dies ist der Übergang in die vielfältige Welt der kognitiven Verzerrungen. Dies ist ein Sammelbegriff für systematische Fehlneigungen beim Wahrnehmen, Erinnern, Denken und Urteilen. Sie bleiben meist unbewusst und beruhen auf kognitiver Heuristik. Meine Hypothese:
Beim Duzen scheint eine Kombination mehrerer dieser kognitiven Heuristiken zum Tragen zu kommen.
Verfügbarkeits-Heuristik
Eine der wichtigsten ist meines Erachtens in diesem Zusammenhang die Verfügbarkeits-Heuristik. Dabei handelt es sich um einen systematischen Beurteilungsfehler, der auftritt, wenn die Beurteilung der Wahrscheinlichkeit (oder Häufigkeit) eines Ereignisses von den leicht verfügbaren Beispielen in unserem Gedächtnis beeinflusst wird.
Mit anderen Worten: Was ich auf dem Radarschirm habe, muss stimmen.
Das bringt uns zur Eingangsfrage „Haie versus Rotwild“: Die Medien berichten ausführlich, wenn es wieder einen tödlichen Haiangriff gegeben hat. Aber nicht, wenn Menschen durch Rotwild getötet werden. Deshalb werden die meisten von uns die Statistiken dazu grundsätzlich falsch einschätzen:
- In den USA z. B. sterben durchschnittlich 0,6 Menschen pro Jahr durch Haiangriffe. Quelle Demgegenüber werden bei Autounfällen mit Hirschen durchschnittlich 200 Menschen pro Jahr getötet. Quelle
Frage: Wie viel Prozent der Kunden bevorzugen das Duzen?
Um diese Frage zu beantworten, welches Bild erscheint vor unserem inneren Auge? Menschen, die sich in sozialen Netzwerken duzen, so weit das Auge reicht! Die (unbewusste) Schlussfolgerung: Alle (modernen) Menschen, die mit der Zeit gehen, wollen geduzt werden. Und das sind die Kunden, die wir als (moderne) Anbieter haben wollen. Ergo: Wir sollten sie duzen. Auch außerhalb sozialer Netzwerke.
Passend dazu die Antwort eines Unternehmens auf die Beschwerde eines Kunden: “[…] weil das ‘Du’ im Internet, vor allem in den sozialen Medien, schon lange gang und gäbe ist, haben auch wir uns zu diesem großen Schritt entschieden.“
Nebenbei hat mir die obige Umfrage eine meiner eigenen Verzerrungen aufgezeigt: Ich glaubte nämlich, dass die klassische Variante „Sehr geehrter …“ heute nicht mehr so gefragt sei. Ich habe daher lieber andere Varianten verwendet, wie zum Beispiel „Guten Tag, …“. Ich denke, dass die klassische Anrede in meiner Kommunikation in Zukunft ein Revival erleben wird.
Heuristik der illusorischen Korrelation
Diese Heuristik geht in gewisser Weise mit der obigen Betrachtung einher. Sie beschreibt die irrtümliche Wahrnehmung einer Korrelation zwischen zwei Ereignissen, also eine Scheinkorrelation:
- Die Tatsache, dass in sozialen Medien das Duzen zu beobachten ist, bedeutet nicht automatisch, dass es von der Mehrheit der Teilnehmer bevorzugt wird.
Vermutlich haben wir es hier eher mit einem “Na gut, wenn’s sein muss, was soll’s!” und nicht mit einem “Endlich! Yippie!” zu tun!
Überzeugungs-Heuristik
Ist die Tendenz, Schlussfolgerungen zu akzeptieren, die mit den eigenen Überzeugungen übereinstimmen. Unabhängig davon, ob sie logisch korrekt aus den Prämissen abgeleitet werden können.
In Marketingagenturen pflegt man „schon immer“ einen eher informellen Umgang miteinander und die Online-Marketing-Experten sind tendenziell jünger. Vielleicht hat sich das eingeschlichen:
- „Ich als Marketer mag es lieber informell und fühle mich wohler, wenn ich geduzt werde. Deshalb bin ich überzeugt: Duzen schafft Nähe und Vertrauen“.
Diese Heuristik kann mit der folgenden Hand in Hand gehen:
“Déformation professionnelle”
≈ “Professionelle Verzerrung” ist die Tendenz, eine berufs- oder fachspezifische Methode oder Perspektive unbewusst über ihren Anwendungsbereich hinaus anzuwenden. Anschaulich dargestellt:
- In unseren Kundenprojekten ist es üblich, die Projektbeteiligten im Kundenunternehmen zu duzen. Es spricht also nichts dagegen, den Geschäftsführer des Unternehmens zu duzen, wenn ich ein Projekt akquirieren möchte.
- Meine (Geschäfts-)Kontakte und ich duzen uns auf Facebook. Es spricht also nichts dagegen, sie auch auf Xing und LinkedIn zu duzen.
- Es ist bereits üblich, dass meine Kunden und ich uns in sozialen Netzwerken duzen. Es spricht also nichts dagegen, sie auch in meiner Supermarkt-/Bankfiliale zu duzen.
- In Schweden gehört es zum guten Ton, meine Kunden zu duzen. Es spricht also nichts dagegen, sie auch in Deutschland zu duzen.
Ich selbst muss sehr aufpassen, dass ich nicht einer Variante dieser kognitiven Heuristik verfalle: Nur weil es mir als Unternehmensberater in Fleisch und Blut übergegangen ist, über die wahren Ursachen und Zusammenhänge einer mir geschilderten Problemsituation nachzudenken und meine Erkenntnisse und Hypothesen anschließend meinem Kunden zu präsentieren, …
… heißt das noch lange nicht, dass ich das auch bei Freunden und Bekannten tun sollte, die mir ihre Probleme schildern. Vielleicht erwarten sie von mir keine Diagnose, sondern nur Einfühlungsvermögen. @ Betroffene Freunde und Bekannte: Mea culpa! Ich bleibe stets bemüht.
Mitläufereffekt-Heuristik
Er beschreibt das Phänomen, dass ein wahrgenommener (vermeintlicher) Erfolg die Bereitschaft erhöht, sich vermeintlich erfolgreichen Handlungsweisen anzuschließen. Meine eigene nüchterne Hypothese:
Alles, was mit Marketing im Allgemeinen und Social Media im Besonderen zu tun hat, scheint diesem Effekt unterworfen zu sein. Getreu dem Motto:
- „Die und der haben das gemacht. Sie sind groß, haben große Budgets und viele Experten. Die werden schon wissen, warum sie das machen. Also mache ich es besser auch so“.
- „Die Person XY, vom Hörensagen ein mega-erfolgreicher Marketing-Guru, bietet mir an, dass ich in seinem Kurs lerne, seine Methode eins zu eins umzusetzen, um auch mega-erfolgreich zu werden. Also mache ich es besser auch so“.
Nehmen wir nun an, wir wüssten aus sicherer Quelle, dass es sich um einen echten Erfolgsfall handelt. Ist es dann wenigstens legitim, „mitzulaufen“? Leider nein, denn die nächste Gefahr lauert schon um die Ecke:
Survivorship-Heuristik
Der “Überlebensirrtum” beschreibt die Heuristik, die sich daraus ergibt, dass wir dazu neigen, unsere Aufmerksamkeit auf die „Überlebenden“/„Erfolgreichen“ zu richten, aber die Erfahrungen der „Erfolglosen“ nicht ausreichend berücksichtigen. Es gibt eben nicht nur die (erfolgreichen) Bundesligaspieler und Schauspieler, die uns täglich in den Medien als solche präsentiert werden, sondern auch unzählige Fußballer und Schauspieler, die von ihrem Beruf nicht leben können.
Wenn Sie bisher zur Gruppe der Zwangs-Duzer gehören, hoffe ich für Sie, dass Sie der folgenden kognitiven Heuristik widerstehen können und Ihre Entscheidung, Kunden ungefragt zu duzen, nüchtern und sachlich überdenken.
Heuristik des eskalierenden Commitments
Es bezeichnet die Tendenz, sich einer früher getroffenen Entscheidung verpflichtet zu fühlen und diese durch die Bereitstellung zusätzlicher Ressourcen zu stützen, obwohl sich diese Entscheidung bisher als unwirksam oder falsch erwiesen hat. Die Redewendung “gutes Geld schlechtem hinterherwerfen” bringt es auf den Punkt.
Für mich ist diese kognitive Heuristik die fieseste von allen. Sie erklärt nicht nur das Phänomen “Berliner Flughafen” oder Ähnliches, sondern macht leider auch vor privaten Entscheidungen nicht halt. Nach dem Motto: Wir stecken in einer schlechten Beziehung fest, in die wir schon mehrere Lebensjahre investiert haben? Kein Problem, dann heiraten wir eben und kaufen eine gemeinsame Immobilie. Klappt immer noch nicht? Kein Problem, dann sorgen wir eben für Nachwuchs …
Meines Erachtens gibt es in diesem Zusammenhang drei wichtige Regeln, die es zu beachten gilt:
- Im Geschäft und im Leben sollte man sich nie nach den “Kosten” der Vergangenheit richten. Sie spielen keine Rolle, weil sie bereits “versenkt” sind. Sie haben keinen Einfluss auf die Zukunft. Machen Sie Ihre Pläne nur auf der Grundlage der zukünftigen “Kosten” und des zukünftigen “Nutzens”.
- Wenn Sie Rat brauchen, um eine Entscheidung zu treffen, fragen Sie niemanden, der an der ursprünglichen Entscheidung beteiligt war oder die Beteiligten gut kennt und daher bereits eine feste (positive oder negative) Meinung über sie hat. Fragen Sie neutrale, unbeteiligte Dritte.
- Je besser es gelingt, eine Unternehmenskultur zu etablieren, in der es keine Angst vor dem Scheitern gibt, desto leichter ist es, mit dieser Verzerrung umzugehen.
Quo vadis?
In der Beratung habe ich es überwiegend mit Menschen zu tun, die mir beschreiben können, was sie tun. Und ich nerve sie ständig mit der Frage: “Wofür?”
Sich bewusst zu machen, wofür man etwas tut, ist dazu da,
- um zu vermeiden, etwas zu tun, nur weil man es schon immer so getan hat!
- um eine Messlatte für einen späteren Soll-Ist-Vergleich zu haben!
- Um aus Erfahrungen zu lernen und zu wachsen!
- Und all das ist wiederum Voraussetzung, um die Produktivität und Wirtschaftlichkeit des Unternehmens nachhaltig zu steigern.
Deshalb die Frage an Sie: Was wollen Sie mit dem Duzen erreichen?
Ein Therapeut könnte in der Tat eine therapeutische Wirkung mit diesen Mitteln vor Augen haben. Aber was ist mit dem Katalogversender, der Bank, dem schwedischen Unternehmen und den vielen anderen Beispielen, die die Kommentatoren im vorigen Beitrag genannt haben? Was ist ihre Absicht?
Wenn Ihre bisherige Antwort auf „Ich möchte eine gute Kundenbeziehung“ oder etwas Ähnliches hinauslief, dann hat die obige Umfrage hoffentlich bei Ihnen die Alarmglocken läuten lassen. In diesem Fall sollten Sie das Ergebnis der Umfrage als das betrachten, was es ist:
(Nur) Ein Indiz, das die Hypothese stützt: „Möglicherweise mögen es auch meine Kunden mit überwältigender Mehrheit nicht, von mir ungefragt geduzt zu werden“.
Eine Hypothese, die natürlich nüchtern und objektiv überprüft werden muss. Zum Beispiel durch eine Kundenbefragung.
Trotzdem ändert sich die Kultur. Die Umstände ändern sich. Die Sprache entwickelt sich. Es lohnt sich also, sich auf “Vielfalt” einzustellen. Nirgendwo lässt sich dies derzeit besser beobachten als bei der aktuellen Problematik der Anrede von z.B. intersexuellen Menschen. Was hier empfohlen wird, ist letztlich auch die Lösung für das Thema Duzen. Ganz banal:
Man fragt, wie jemand angesprochen werden möchte und richtet sich danach.
Die technische Hürde ist meines Erachtens das geringste Problem:
- Möchten Sie den Newsletter abonnieren? Bitte kreuzen Sie “Ja” oder “Nein” an.
- Möchten Sie geduzt werden? Bitte kreuzen Sie “Ja” oder “Nein” an.
Wenn ja, verwendet die Software das Anredefeld 4711, wenn nein, 4712.
Apropos: Newsletter und andere Periodika lassen sich in zwei Varianten sehr schlank und einfach gestalten. Man kann einen förmlichen Schreibstil verwenden und die direkte Ansprache des Kunden im Text auf das Nötigste reduzieren.
Hat man die technischen Möglichkeiten (noch) nicht, sollte man bis dahin den Weg des geringsten Widerstandes gehen. Die rhetorisch gemeinte Frage dazu lautet: Wird sich jemals jemand bei Ihnen beschweren, dass er von Ihnen gesiezt wurde?
5 Kommentare zu „Kunden werden ungefragt geduzt aufgrund kognitiver Heuristik“
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Ein wirklich guter Artikel, der ein Reizthema endlich einmal sachlich beleuchtet.
Vielen Dank!
Gut, dass hier das Phänomen erwähnt wird, dass in sozialen Netzwerken das Duzen quasi Pflicht ist. Man hat hier das Argument, dass alle in sozialen Netzwerken Freunde seien, was für mich irgendwie utopisch klingt … Im russischsprachigen Internet kann man aber ganz locker siezen und niemand wird sich darüber beschweren – da ist man viel demokratischer und diesen Duz-Zwang im deutschsprachigen Internet empfinde ich als Diktatur! Man muss hier quasi ein Chamäleon sein – offline siezen, online duzen … Ein deutscher Blogger will das Siezen abschaffen, da es seiner Meinung nach auf Hierarchien zurückführt: https://www.zeit.de/kultur/2020-01/soziale-medien-hoeflichkeit-anrede-twitter-saskia-esken-rezo . Allerdings habe ich festgestellt, dass das Siezen doch sehr notwendig ist. Nach wie vor habe ich es mit dem Erotikbereich zu tun und einige Erotikdarstellerinnen haben sich darüber beschwert, dass man ihnen eine intime Beziehung unerwünscht angeboten hatte. Da habe ich eine Lösung, dass sich Darstellerinnen und ihr Publikum gegenseitig siezen! Im Englischen sollte man Darstellerinnen nicht mit Vornamen, sondern mit “Ms. + Nachname” ansprechen, ich finde, das Siezen wird hier den Spaß nicht verderben! Das Siezen ist auch quasi ein Schutzmechanismus und da ich ein Polyglott bin, habe ich mich entschieden, skandinavische Sprachen zu boykottieren, solange da das Siezen nicht wieder eingeführt wird! Bei einer Reise nach Skandinavien werde ich mich stattdessen auf Englisch kommunizieren. Nicht zuletzt möchte ich erwähnen, dass wenn man in der ehemaligen Sowjetunion mit einer unhöflichen Reaktion rechnen kann, wenn man unerlaubt duzt!
Guten Tag Herr Safonov und danke für Ihre interessanten Ausführungen. Was der zitierte deutsche Blogger und Sie vermutlich gemeinsam haben, ist letztlich, dass Ihnen beiden es auf ein “respektvolles Miteinander auf Augenhöhe” ankommt. Beim Thema “Respekt” darf man jedoch nicht an der äußeren Form/Technik hängenbleiben, sondern muss nach der Haltung dahinter streben. Hier stellen gesellschaftliche Normen wie eben das Siezen die äußere Form dar und Aspekte wie z. B. “Respekt empfinden für sein gegenüber” stellen die innere Haltung dahinter dar.
Man konzentriert sich zunächst auf die äußere Form/Technik, da dies es einem erleichtert, sich daran orientierend nach und nach zu der inneren Haltung dahinter zu finden. Wenn man die Haltung dahinter gefunden hat, kann man die äußere Form beliebig verändern. Sprich: Dann werden wir auch beim Duzen als respektvoll wahrgenommen.
Aber: Finden wir zu der inneren Haltung dahinter nicht, dann verkommt die Anwendung der äußeren Form zu einer bedeutungslosen Fassade/Farce. Sprich: Dann siezen wir zwar, sind aber dabei herablassend, sarkastisch oder zynisch.
Das vorausgeschickt, gerade in der heutigen Zeit kann man verstärkt den Trend beobachten, dass der respektvolle Umgang miteinander in den sozialen Medien zunehmend verloren geht. Menschen sind von jetzt auf gleich unhöflich, polternd und verhalten sich despektierlich anderen gegenüber. Die äußere Form war m. E. nie wichtiger als in der heutigen Zeit, um es Menschen zu erleichtern, zu einem respektvolleren Umgang miteinander zu finden. Darauf läuft auch, glaube ich, Ihre These hinaus. Aber zu hoffen, dass die äußere Form das Problem löst, ist ein Trugschluss.